Vom Blaumann zu Kanban
Wie kam es eigentlich dazu, dass ich meinen Blaumann und Werkzeugkoffer gegen Post It’s und meinen Methodenkoffer eingetauscht habe? Oder anders gefragt: Wie bin ich Agile Coach geworden?
Als ich mit 16 Jahren meine Kfz-Mechanikerlehre anfing, hatte ich natürlich noch nicht im Sinn, Teams zu coachen oder Transformationsprozesse zu gestalten. Damals wusste ich nicht, was das sein soll, denn ich reparierte Autos und musste verstehen wie sie funktionieren. Noch genauer verstehen sollte ich sie dann durch mein Fahrzeugtechnikstudium in Dresden. Hier durfte ich vieles lernen, von den Eigenschaften der verbauten Werkstoffe bis zur Programmierung von Fahrfunktionen. Um noch tiefer in die Technik abzutauchen, habe ich meine Diplomarbeit über die Diagnose von vernetzten Fahrzeugfunktionen geschrieben. Ganz schön sperriger Titel, oder? Und was hat das nun mit Agilität und Coaching zu tun?
Erstmal nichts, aber diese Kompetenz hat mir die Tür zu einer Berliner Tochterfirma eines Automobilherstellers geöffnet. Dort begann mein erster Job nach dem Studium als Ingenieur für Funktionale Sicherheit nach ISO 26262. Funktio… was? Es geht darum, dass im Falle eines Funktionsfehlers im Auto niemand zu Schaden kommt oder zumindest das Risiko auf ein Minimum zu reduzieren. Was dabei wichtig ist, sind ein sehr genaues Arbeit nach der ISO-Norm und viel Dokumentation. Eigentlich nicht so meins, aber ich werde diesen Job für die nächsten sieben Jahre machen.

Ändern! Aber was und wie?

Ich hatte bereits nach kurzer Zeit das Gefühl, dass mir etwas fehlt, dass etwas anders sein muss. Überstürzen wollte ich allerdings nichts. Und so probierte ich verschiedenes aus, um zu erkunden, was mich mehr reizt. Ich hielt Vorlesungen und gab Trainings zu Funktionaler Sicherheit. Tatsächlich haben mir die Wissensvermittlung und die direkte Interaktionen mit anderen Menschen mehr Spaß gemacht als Sicherheitsanalysen und Dokumentationen schreiben. Aber da geht noch mehr, oder?
Nach etwa zwei Jahren im Job begann ich dann ein nebenberufliches Fernstudium. Schon wieder was technisches? Nein, davon hatte ich jetzt ausreichend gehört und gelesen. Psychologie hat mich schon länger interessiert und ich las immer mal wieder ein Buch über Freud oder Persönlichkeitstests. Immer kreuz und quer. Meine Idee mit dem Psychologiestudium war, dass ich alles, was es zu wissen gibt, nun geordnet von Anfang bis Ende lerne und sich im Laufe des Studiums wahrscheinlich eine Idee formt, was ich nun wirklich machen möchte. Ich hörte viel spannendes und (sehr) viel Statistik. Im Laufe des Studiums reifte die Idee heran, die beiden Disziplinen zu kombinieren und irgendwie ein Psycho-Ingenieur oder Ingenieurpsychologe zu werden. Mein erster Schritt dorthin war die Abschlussarbeit, die ich direkt in meiner Firma in der Abteilung für User Research und User Experience schreiben durfte. Die Möglichkeit zu wechseln und diese Tätigkeit fortzuführen, waren zum Greifen nah. Es kam dann doch ganz anders…
Perfect Match – Transformation und ich

Zeitgleich zu meinem angestrebten Wechsel wurde verkündet, dass sich die Firma von der bekannten hierarchischen Struktur durch eine agile Transformation in eine sogenannte living Organisation, also eine sich immer wieder anpassende Struktur mit selbstorganisierten Teams verändern möchte. Dafür wurde intern die Stelle des Teamcoaches ausgeschrieben. Das hat mich ganz schön neugierig gemacht. Es ging darum, die Teams in der Veränderung zu begleiten und bei ihren neuen Herausforderungen im selbstorganisierten Arbeiten zu unterstützen. Das hörte sich viel zu spannend an, deshalb habe ich mich gemeldet und die Stelle bekommen. Die sechsmodulige Ausbildung zum Teamcoach lief während der tatsächlichen Arbeit. Wir waren zehn Teamcoaches für knapp 1000 Mitarbeitende.
Klingt herausfordernd! War es auch und sinnerfüllend!
Ich hatte nach sehr kurzer Zeit gespürt, dass das genau mein Ding war. Es war ein Agieren unter großer Unsicherheit, denn das Modell, nach dem das Unternehmen transformiert werden sollte, war noch nicht fertig. Es entstand währenddessen und wurde immer wieder nachjustiert durch Feedback. Die Teams brauchten trotzdem Orientierung und Begleitung. Auch das Thema agiles Arbeiten bekam bei vielen Teams immer mehr Bedeutung. Da wir das alle noch nie gemacht hatten und vieles einfach noch nicht klar definiert war, gab es eine unglaublich große Freiheit Dinge auszuprobieren. Ich war stets viel bei den Teams, um viel von und mit ihnen zu lernen. Ich habe in der Zeit unglaublich viele Bücher zu den Themen gelesen. In meinem Leben hatte ich noch nie so viel in so kurzer Zeit gelernt.
Plötzlich hat Arbeit Spaß gemacht und hat sich sinnvoll angefüllt. Ich liebte es!
Ich hatte nun den Blaumann bereits gegen Post It’s eingetauscht, so richtig in Agilität tauche ich nun in meiner aktuellen Rolle ein.
Bitte alle einsteigen
Bleib ruhig sitzen, die Tickets kontrolliere ich nicht. Als Release Train Engineer (RTE) ist man kein Kontrolleur, sondern vielmehr Coach eines Agile Release Trains, also eines Teamverbundes, der gemeinsam Wert schafft. Die wichtigste Aufgabe des RTE ist dabei, dass die Arbeit so gut es geht durch das System fließen kann. Dafür muss ich einiges im Blick behalten, u.a. das Programm-Kanban. Nun habe ich endgültig meinen Blaumann gegen Kanban eingetauscht.
In meinem Blog berichte ich regelmäßig über meinen Erfahrungen in der neuen Rolle, es ist sozusagen das Logbuch eines agilen Zugbegleiters. Lest regelmäßig mal rein und begleitet mich auf meiner Reise.
